Geschichte der Kurzschrift
Schon seit der Antike hat der Mensch das Bedürfnis, seinen Alltag, seine Gespräche und vor allem seine Geschichte für die Nachwelt festzuhalten. Neben kunstvollen Zeichnungen entstanden auch Zeichen und Schriften, um diesem Bedürfnis nachzukommen. Bald bemerkte man, dass die geschaffenen Zeichen wohl kunstvoll waren, aber das gesprochene Wort nicht schnell genug festgehalten werden konnte. Schon bald wurde versucht, mit Kurzschriften, d. h. Stenografie, die mühselige Arbeit zu vereinfachen und damit das Gehörte schneller zu schreiben. Die nachstehenden Beiträge geben einen kleinen Einblick in die Geschichte und Entwicklung der Stenografie, aber auch über die Verwendung der Stenografie in unserer Zeit.
Die Anfänge der Stenografie
Das älteste Zeugnis einer Kurzschrift stammt von der Akropolis. Es handelt sich um eine Marmortafel, die aus dem 4. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung datiert. Dieser Akropolis-Stein, der um 1830 ausgegraben wurde, ist jedoch stark beschädigt und konnte bis heute nur teilweise entziffert werden.
Akropolis-Stein (4. Jh. v. Chr.)
Abguss aus dem Epigraphischen Museum in Athen, Das inschriftlich überlieferte Schriftsystem ist als eine beachtliche graphische Leistung zu werten, durch die das übliche Alphabet und damit die Schreibarbeit (vielleicht vor allem für Inschriften) verkürzt werden sollte. Es kann daher lediglich als Brachygraphie und als eine Vorstufe der Tachygraphie (Proto-Tachygraphie nach H. D. Burkert) gelten. Fotografie: Stenografische Sammlung der Sächsischen Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek (SLUB) Dresden, 2011 |
Asteris-Stein Grabstein des Jünglings Asteris aus Salona (3./4. Jh.). Stellt das Brustbild des Verstorbenen dar, der eine mit stenografischen Zeichen beschriebene Wachstafel vorweist. Eines der ältesten Denkmäler für das Vorhandensein einer griechischen Stenografie. Inschrift: Asteris, den zarten Jüngling, seiner Eltern ganze Freud´, Raffte aus dem sonn´gen Leben jäh des blassen Todes Neid. Sieh, auf seiner Ruhestätte weilt, o Wanderer, Dein Blick. Seine Eltern liess in Tränen und in Klagen er zurück. Mut, mein Asteris! Viele gingen Dir voran den dunklen Pfad. Viele folgen! Keinen gibt es, den der Tod verschonet hat. Fotografie: Stenografische Sammlung der Sächsischen Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek (SLUB) Dresden, 2011 |
Die erste Kurzschrift, die wir vollständig kennen, entstand bei den Römern im 1. Jahrhundert vor Christus. Bei den Tironischen Noten handelt es sich um eine Wort- und Silbenschrift, die vor allem zur Festhaltung von Reden verwendet wurde. Marcus Tullius Tiro (105-4 v.Chr.), erst Sklave, dann Freigelassener und schliesslich Geheimschreiber des römischen Staatsmannes Cicero (106-43 v.Chr.), hat ein besonderes ABC einfacher Zeichen zusammengestellt. Für häufig wiederkehrende Wörter und Silben verwendete er Sonderzeichen. Heute sind uns 12'000 Tironischen Noten bekannt. Diese sind eng mit der lateinischen Schrift verknüpft.
Am 5. Dezember 63 v.Chr. wurde die Stenografie zum ersten Mal als Redeschrift verwendet und zwar im römischen Senat, als der jüngere Cato (95-46 v.Chr.) seine grosse Anklagerede gegen den Verschwörer Catilina hielt. Der Konsul und leidenschaftliche Verfechter der altrömischen Republik, Marcus Tullius Cicero, hatte seinen Sekretär Tiro beauftragt, diese Rede nachzuschreiben. Da Tiro oft lange Diktate aufzunehmen hatte, war er auf die Idee gekommen, die Langschrift zu verkürzen und durch bestimmte Zeichen zu vereinfachen. Er war imstande, ganzen Wortgruppen mit dem Griffel zu folgen und schrieb auf mit Wachs überzogenen Holztäfelchen, in das die Zeichen mit einem spitzen Griffel aus Metall oder Elfenbein eingeritzt wurden.
Auszug aus einem Lexikon der Tironischen Noten Kopp, Vlrico Friderica: Paleographia critica Costamagna, Giorgio: Notae Tironianae quae in lexicis et in chartis repriuntur novo discrimine ordinatae. Die Stenografie der Antike ist die erste Kurzschrift, die vollständig bekannt ist. Sie wurde im ersten Jahrhundert vor Christus erfunden. Entscheidenden Anteil an der Erfindung hatte Tiro als Sekretär Ciceros. Die tironischen Noten wurden rund tausend Jahre aktiv gepflegt. Das umfangreiche Werk von Kopp vermittelt eine genauere Kenntnis der Noten. Bisher existieren lexikalische Hilfsmittel für die Kurzschriftrezeption nur für die tironischen Noten: Kopp, 1817, 2. Bd. und Costamagna, 1983. Fotografie: Stenografische Sammlung der Sächsischen Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek (SLUB) Dresden, 2011 |
Die Stenografie wurde auch nach dem Untergang des römischen Reiches angewendet. In der Stiftsbibliothek St. Gallen findet man unter den kostbaren Büchern ein paar Bände mit Tironischen Noten. Dies deutet darauf hin, dass in den Klosterschulen Stenografie zu den Unterrichtsfächern gehörte. Die Periode zwischen 1100 und 1600 gilt als unfruchtbare Zeit für die Kurzschrift. In der rauhen Zeit des Rittertums und der Kreuzzüge bestand kein Bedürfnis nach Stenografie. Auch Latein wurde immer mehr durch die neuen Sprachen Englisch, Französisch und Deutsch zurückgedrängt.
Die Entstehung unseres Systems Stolze/Schrey
Mit Karl August Friedrich Mosengeil (1773-1839) beginnt 1796 die eigenständige deutsche Kurzschriftentwicklung. Seine beiden Schrifterfindungen gelten zusammen mit denjenigen von Ramsay und Horstig als die bedeutendsten Versuche, zu einer deutschen Kurzschrift zu kommen.
Im 19. Jahrhundert entstanden dann die einlagigen kursiven Buchstabenschriften, als deren Begründer Franz Xaver Gabelsberger (1789-1849) gilt. Dieser Schriftstil heisst grafisch oder einlagig, weil fast alle Abstriche die gleiche Lage haben. Obwohl die Erlernung dieser Schrift hohe Anforderungen an die Schüler stellt, blieb sie bis zur Schaffung der Deutschen Einheitskurzschrift 1924 das verbreitetste deutsche Kurzschriftsystem. Heute gibt es nur noch wenige Stenografen, die das Gabelsberger System kennen und als Hobby pflegen.
August Wilhelm Heinrich Stolze (1798-1867) bewunderte die von Gabelsberger geleistete Arbeit und übernahm aus dieser Schrift manche Einzelheiten, aber ihm missfiel die Vielfalt der grafischen Möglichkeiten und das Fehlen klarer Regeln. Stolze wollte eine Gebrauchsschrift für breiteste Kreise schaffen.
Die Kürze allein reicht nicht. Zusätzlich muss der Aufbau der Wortbilder durch möglichst einfache Regeln so festgelegt sein, dass sich für jedes Wort ein bestimmtes, eindeutig lesbares Schriftbild ergibt. Die theoretische Gundlage seiner Schrift ist Stolzes grosse Leistung. Seine Schrift ist gut lesbar aber schwierig zu erlernen, einerseits wegen der etwa 1100 Wortkürzungen, andererseits auch wegen der Dreizeiligkeit.
Ferdinand Schrey (1850-1938) war der grosse Praktiker. Als Stenografielehrer und Verhandlungsstenograf wandte er das Gabelsberger System an. Da er die Gabelsberger Schule nicht für eine durchgreifende Vereinfachung gewinnen konnte, entschied er sich zur Schaffung einer eigenen Schrift, die leicht erlernbar war und schnell viele Anhänger gewann.
Sie wurde neben Gabelsberger und Stolze zur drittstärksten Schule. Die Bedeutung dieser Schrift liegt darin, dass sie als wesentliche Vorlage für das Einigungssystem Stolze/Schrey diente, das am 1. Januar 1898 in Kraft trat und die Forderung nach leichter Erlernbarkeit, Kürze, Deutlichkeit und Einfachkeit bestens erfüllt.
1874 hatte Schrey das System Gabelsberger erlernt. Seine sog. "Solinger Thesen" (1877) zielten darauf ab, das System Gabelsberger in zwei Stufen aufzuteilen: in eine Korrespondenz- und Redeschrift. Als er damit keinen Erfolg hatte, entwickelte er ein eigenes System. Gemeinsam mit Dr. Johnen, Kurzschrifthistoriker und späterer Senatspräsident in Düsseldorf, und Dr. Socin, Professor an der Universität in Basel und Vorsitzender des Gabelsbergerschen Zentralvereins der Schweiz, gab er das "Lehrbuch der Vereinfachten Deutschen Stenografie" (Schrey-Johnen-Socin) 1887 heraus.
Nach Einigungsverhandlungen kam es zu einem Zusammenschluss der beiden Stenografiesysteme Stolze und Schrey. Der Entwurf der "Vereinfachten deutschen Stenographie, Einigungssystem Stolze-Schrey" wurde am 9. August 1897 in Berlin angenommen und in einer Systemurkunde festgelegt. In den Systemen Schrey und Stolze-Schrey wurde die reine Auslautvokalisation durchgeführt. Das System Stolze-Schrey fand weite Verbreitung, besonders in Norddeutschland, und nimmt heute in der deutschsprachigen Schweiz den ersten Platz ein.
Die Portraits der Personen stammen aus «Geschichte der Stenographie in der deutschen Schweiz» von Hermann Reber-Alge, Verlag des Allgem. Schweiz. Stenographenvereins, Herman Bebie, Wetzikon-Zürich, 1909. |
Verschiedene Stenografie-Systeme (Schriftproben)
Es reden und träumen die Menschen viel von besseren künftigen Tagen. Nach einem glücklichen goldenen Ziel sieht man sie rennen und jagen. Die Welt wird alt und wird wieder jung; doch der Mensch hofft immer Verbesserung. |
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System Gabelsberger (nach dem Lehrmittel von Adolf Sckell, Stuttgart 1901) |
System Stolze (nach dem Lehrmittel des Erfinders, Berlin 1858) |
System Schrey (nach dem Lehrbuch des Erfinders, Barmen 1888) |
Das Einigungssystem Stolze/Schrey (nach S. Alges Lehrbuch, bearbeitet von Rudolf Schwarz, 1906) |
Die Schriftproben stammen aus «Geschichte der Stenographie in der deutschen Schweiz» von Hermann Reber-Alge, Verlag des Allgem. Schweiz. Stenographenvereins, Herman Bebie, Wetzikon-Zürich, 1909. |
Noch mehr Geschichte?
Patrick Koller hat seine Matuararbeit über die Geschichte der Stenografie geschrieben. Diese Arbeit "Stenografie - Geschichte und Anwendung" (aus dem Jahr 2001) kann zum Selbstkostenbeitrag von CHF 20.- direkt bei Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! bestellt werden.
Ein Auszug findet sich auf der Homepage vom Stenoverein St. Gallen.
Text: Rosmarie Koller-Keller